Tag -15: Ben Shapiro @Berkeley

Ben Shapiro @ Zellerbach Hall, 2017-09-14

Wie erwähnt, hatte ich ein Ticket für die Veranstaltung mit Ben Shapiro bekommen. Kalifornien ist ziemlich links, Ben Shapiro libertär (wie man das genau in Europa bezeichnen würde, ist mir nicht klar), auf alle Fälle sind die linken/Demokraten und/oder deren Wähler dagegen. Die Polizeipräsenz war massiv, ein Rayon um die Zellerbach Hall war abgesteckt und mit Sperren gesichert. Das alles für eine Free-Speech-Veranstaltung. Über der Halle schwebten schon am Nachmittag mindestens drei Helikopter. Meine Ortliebtasche durfte ich nicht mit reinnehmen, auch nicht nachdem ich die Durchsuchung angeboten hatte. Na gut, hab ich die Tasche halt draussen auf dem Campus versteckt. Es folgte trotzdem noch eine sehr gründliche Taschenkontrolle und strengere Detektorüberprüfung als am Flughafen. So extrem hatte ich das nicht erwartet und war schon ziemlich gespannt, worum es gehen würde. Hier das Video zur kompletten Veranstaltung auf youtube.

Die Presse hatte ebenfalls gewarnt: LA Times, Washington Post. Für Krawallmacher hatte ich noch nie was übrig. Lasst doch die Leute reden und setzt euch argumentativ mit ihnen auseinander. Verbieten bringt gar nichts, sondern sieht nur nach einer einfachen Lösung aus, die es nicht ist. Das gilt auch für die AfD. Ja, eine Demokratie hält sowas aus und die Meinungsfreiheit gilt. Schade, dass es immer solche Knallos gibt, die lieber Krawall machen, anstatt sich zivilisiert mit Leuten auseinanderzusetzen.

Die Zuschauer waren bunt durchmischt (äusserlich), es waren alle Hautfarben dabei, der Altersschnitt war eher jung (im Schnitt vielleicht mein Alter). Die Uni hatte Schiss, dass die Gäste die Sitze rausrupfen und nach unten werfen, also haben sie sie Emporen gesperrt. Im Parkett hatten etwa 1100 Leute Platz, es waren vielleicht 600 da, obwohl die Veranstaltung “ausverkauft” gewesen war. Die Vermutung ist, dass von den politischen Gegnern Tickets reserviert wurden und dann die Leute nicht kamen. Selten dämlich, kommt doch und ertragt andere Meinungen. Noch dümmer ist, dass die Standby-Tickets (lange Liste) dann eigentlich hätten abgearbeitet werden müssen, aber die Uni/Administration zu feige war (Vermutung). Bei dem extremen Polizeiaufgebot hab ich mich innerhalb des Rayons jedenfalls sicher gefühlt, hinterher ausserhalb der Sperren aber nicht so richtig.

Organisiert wurde das Ganze von der Young America’s Foundation einer konservativen Nachwuchsorganisation. Gegen das, was hier schon ausserhalb vom Wahlkampf abgeht, ist der “Wahlkampf” in Deutschland jedenfalls ein Witz.

Zu Beginn der Veranstaltung hat die Vize-Finanzchefin der Uni Berkeley noch Warnhinweise verlesen, es kamen auch die Informationen zu free speech, dass man sich zivilisiert verhalten solle und ansonsten hinausgeführt würde; man solle ausserdem verschiedene Standpunkte zulassen. Schade, dass man sowas als Hinweis vor so einer Veranstaltung bringen muss, wo es doch die Kanzlerin (von Berkeley, nicht Angie) Ende August gut aufgeschrieben hat.

Einige Punkte vom Auftritt:

Die Uni Berkeley hat offensichtlich für Studenten, die sich von solchen Veranstaltungen gestört/verstört fühlen, Counseling im Angebot. Das fand ich schon mal seltsam, die sollten doch alle erwachsen sein? Wo, wenn denn nicht an einer Universität, sollte kritischer Diskurs mit allen Meinungen gepflegt werden?

Der Hinweis auf past injustice (in der Vergangenheit begangenes Unrecht) ist hierzulande klar auf Sklaverei gemünzt. Bens Meinung dazu ist, dass man das nicht mehr ändern kann, und dass man damit heutzutage nur im Alltag durch Gleichbehandlung aller Menschen umgehen sollte. Hier kommt dann gleich der Hinweis auf affirmative action, also die gezielte Bevorzugung von Bevölkerungsgruppen, z.B. von Schwarzen, aufgrund von erlittenem Unrecht in der Vergangenheit. Lustigerweise ist das ja dann auch Diskriminierung und sogar rassistisch, nur eben sogenannt positive. Wenn man das auf Deutschland übertrüge, müsste man zuerst mal Juden überall bevorzugen mit Blick auf die Vergangenheit. Da stellt sich dann die Frage, wer definiert, welche Bevölkerungsgruppen benachteiligt sind und welche bevorzugt werden sollen. Das Gefühl von angry white men kann ich mir schon vorstellen, die sich durch die Bevorzugung anderer benachteiligt sehen, auch wenn es mich selbst nicht betrifft. Das kann aber schnell passieren, z.B. bei Bewerbungsgesprächen, wenn eine gleich qualifizierte Frau bevorzugt wird, eben weil sie eine Frau ist. Ich halte auch generell nicht viel von Frauenquoten, die sind nämlich ziemlich selektiv. Allenfalls im Gleichklang mit Männerquoten, z.B. im Psychologiestudium, bei der Müllabfuhr oder bei Grundschullehrern wäre das fair. Aber dass eine solche Planwirtschaft nicht die besten Ergebnisse bringt, ist doch eigentlich erwiesen. Wir müssen uns nur als Gesellschaft drauf einigen, ob wir die besten Leute (aus Sicht einer Firma) wollen oder eine irgendwie erzwungene Quote, was aber nicht heisst, dass eine 50/50-Quote nicht genauso gut oder besser sein kann, wenn man sie dann mal gezwungenermassen ausprobiert.

Der Vortrag war öfter amerikanisch-patriotisch durchsetzt: das beste Land, die freieste Gesellschaft. Aber nicht nur einmal kam von Ben der Aufruf, Leute kennenzulernen, ihre Ansichten zu verstehen, sich mit ihnen (intellektuell) auseinanderzusetzen, gerade auch wenn es der politische Gegner sein mag. “Wir sind alle Individuen”. Dazu passt hervorragend dieser Ausschnitt aus The Life of Brian: You’re all individuals.

Nach etwa einer halben Stunde war der Vortrag vorbei und es folgte eine gute Stunde Q&A (Frage/Antwort). Ein paar Fragen hab ich mitgeschrieben.

Die beste Frage war eine zu Versicherungen: sollte es Versicherungen erlaubt sein, Prämien auf der Grundlage von Rasse/Ethnie festzulegen? Als Libertärer war seine Antwort natürlich “sicher, wenn ethnicity ein Risikomerkmal ist”. Also wenn Schwarze ein nachweislich höheres Versicherungsrisiko sind als Weisse, zahlen sie eine höhere Prämie. Aus reiner Datensicht wäre das richtig, wenn man Profite maximieren will, wie im reinen Kapitalismus üblich. Aus Bens Sicht gibt es aber diesen Fall gar nicht, dass die Rasse ein Diskriminierungsmerkmal ist. Als Gesellschaft wiederum müssen wir uns drauf einigen, ob wir das zulassen oder nicht. In Europa ist es beispielsweise nicht mehr erlaubt, geschlechterspezifische Prämien zu berechnen, auch wenn Mann und Frau unterschiedliche Risiken bei bestimmten Versicherungen darstellen. Für Ben ist es eine reine Marktentscheidung, denn wenn es die eine Versicherung nicht macht, macht es eine andere – also muss man (aus meiner Sicht) die Regeln für den Markt anpassen. Ich halte es da eher mit Ludwig Erhard. Später kam zu diesem Thema noch eine gleiche Antwort, wie das bei Bankkrediten sei. Wenn Redlining verboten ist und die Banken sich an Gesetze halten, funktioniert das doch auch. Lustig ist ja, dass ich bei meinen Velostreifzügen durch die Gegend recht klare Abgrenzungen zwischen Stadtteilen und Ethnien gefunden habe. Was macht man jetzt damit? Es wäre doch inkonsequent, die Leute nicht zwangsumzusiedeln.

Eine weitere interessante Frage bzw. ein Vorschlag war eine Kohlendioxid-Lenkungsabgabe, hier als revenue-neutral carbon tax bezeichnet. Es wird CO2-produzierendes Verhalten besteuert und die Einnahmen aus der Steuer werden durch Steuersenkungen an anderer Stelle kompensiert. Damit war Ben nicht so einverstanden, obwohl das ja den Markt nicht ausschalten, sondern gerade in die richtige Richtung steuern (“tax bads, not goods”) und das Ziel am effizientesten erreicht würde. Es kam dann ein technologiegläubiger typisch amerikanischer Kommentar, dass sich das quasi durch Erfindungen von selbst löst. Mag ja sein, aber das bedeutet ja nicht, dass man heute schon was tun könnte.

Bei der Einwanderung würde er die 800’000 illegalen Einwanderer, die unter das DACA Scheme fallen und als Kinder ins Land gekommen sind (quasi passiv illegal), einer Einzelfallprüfung unterziehen. Wer gut/nützlich ist und positive Aussichten hat, darf bleiben, die anderen nicht. Das ist gesteuerte Zuwanderung.

Generell hat er die Eigenverantwortung der Menschen gefordert, insbesondere auch beim Medienkonsum. Natürlich hat man einen confirmation bias, also liest lieber solche Sachen, die einem in den eigenen Kram und ins eigene Weltbild passen. Es gibt aber nicht nur die eine Wahrheit, sondern viele verschiedene Standpunkte. Sein Hinweis war, dass man möglichst viele verschiedene Quellen lesen sollte und sich dann selbst Gedanken machen muss. Logisch eigentlich, aber natürlich auch anstrengend.

Insgesamt: also extreme, rassistische oder faschistische (was auch immer das ist, das hat sicher überall eine andere Bedeutung) Züge hab ich nicht so mitbekommen, eher viel Toleranz und Verständnis für andere Meinungen und auch mal das Eingeständnis, zu einer Frage lieber keine Antwort zu geben, weil er sich erst mit der Materie beschäftigen müsse. Warum da gleich wieder Schubladendenken wie Alt-Right und ähnliches drangeklebt wird, verstehe ich nicht. Klare Meinungen und Positionen z.B. zu Abtreibungen waren auch dabei. Aber ich gebe zu, es ist echt anstrengend, so einer Diskussion über anderthalb Stunden konzentriert zu folgen. Da kann man sich schon lieber draussen hinstellen und sich sinnlose Strassenschlachten mit der Polizei liefern, anstatt reinzugehen, zuzuhören und vor allem Fragen zu stellen und mit Argumenten zu überzeugen versuchen! Wer diese Chance nicht nutzt, ist dann für mich nicht glaubwürdig. Ich fand das jedenfalls sehr spannend, nebenbei etwas politische Bildung an historischen Orten mitzunehmen.

Die Proteste und Demonstrationen draussen waren voll im Gang, wir wurden auf der sicheren Seite auf einem langen Umweg durch ein Spalier von martialisch bewaffneten Polizeikräften vom Campus entlassen (meine Tasche stand noch unberührt dort, wo ich sie hingestellt hatte). Von der Demonstration wehte der Grasduft herüber, aber ich hatte auch den Eindruck, dass die Hälfte der Leute nur mit Selfiesticks am Filmen war, um irgendwelche sensationellen Krawalle vor die Linse zu kriegen. Das wurde mir dann zu blöd und als genereller Nicht-Fan von Menschenmassen hab ich mich alsbald auf den Heimweg bequemt. Es war so kalt, dass meine bisher ungenutzte Jacke ihren Nutzen unter Beweis stellen konnte. Auf dem Heimweg hab ich gleich noch einen Velokarton mitgenommen.

Wenn sich die Möglichkeit bietet, werde ich mir Milo Yiannopoulos auch noch anhören, in der Free Speech Week. Der dürfte etwas provokanter sein.

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