Unter dem Titel Nur ein Tag Elternzeit für Schweizer Väter hat die SZ einen sehr subjektiven Artikel zur Arbeitssituation von Eltern in der Schweiz publiziert. Dazu also hier meine völlig subjektive Gegenmeinung.
Es beginnt mit den drei Kernthesen des Artikels:
- Die Schweiz liegt im Vergleich mit den Nachbarländern deutlich zurück, wenn es um familienfreundliche Arbeitszeitmodelle geht.
- Der überwiegende Großteil der Väter arbeitet in Vollzeit, viele Mütter in Teilzeit oder gar nicht.
- Doch politische Maßnahmen wie die Elternzeit sind bislang nicht durchzusetzen.
Zu 1: Was ist denn an Vollbeschäftigung bitte familienunfreundlich? In der 50 Mann starken Abteilung meines letzten Arbeitgebers war ein Drittel der Mitarbeiter teilzeitbeschäftigt (d.h. weniger als 100%), neu ist es ähnlich. Dazu noch Home Office, freie Zeiteinteilung und vor allem genügend hohe Löhne, dass man sich ein Teilpensum auch leisten kann. Stellen werden direkt mit 80-100% Pensum ausgeschrieben (so auch meine eigene), weil die Arbeitgeber schon wissen, dass viele gar nicht 100% arbeiten möchten. Solange die Nachfrage nach Arbeitskräften ungebrochen ist, können nämlich die Arbeitnehmer fordern, was sie gerne hätten. Darüberhinaus ist in dieser Situation ein Wechsel des Arbeitgebers ebenso schnell möglich.
Zu 2: Das mag für die ältere Generation zutreffen. Grad Männer in meiner Alterskohorte (und ähnlicher Ausbildung) machen sehr häufig Teilzeit. Und warum? Weil sie es sich leisten können und wollen und sich häufig die Frage stellen, ob sie lieber jetzt Geld, aber keine Zeit haben und dann später Zeit haben, aber nicht mehr fit sind, all das zu machen, was sie jetzt machen könnten. Und auch bei jüngeren Familien kann man die Frage mal andersherum formulieren, ob es denn nicht Luxus ist, dass eben grad nicht beide Vollzeit arbeiten müssen, um das Familieneinkommen zu sichern. Vielleicht müssen es die Schweden ja wegen der hohen Sozialabgaben und verbrämen es als “beide wollen Karriere machen”?
Zu 3: Das Volk ist meist nicht ganz blöd (zumindest die, die abstimmen gehn). Irgendjemand muss den Zwangsurlaub für alle Väter bezahlen. Das kann über generell niedrigere Löhne passieren, über höhere Steuern oder auf irgendeinem anderen Weg. Aber: es zahlen vermutlich alle. Das ist ähnlich wie die Rundfunkgebühr, die zahlen (demnächst) auch alle, auch wenn sie es nicht nutzen. Das Gleiche ist damit doch schon bei der Initiative für mehr Ferien geschehen: staatlich verordnete 6 Wochen Mindestferien im Jahr wurden abgelehnt. Es ist genau dieselbe Argumentation wie beim Väterurlaub: lasst den Leuten die Eigeninitiative und die Selbstverantwortung. Wer mehr frei haben möchte, nimmt unbezahlte Ferien oder reduziert (vorübergehend oder dauerhaft) sein Pensum. Und diese zwei Dinge sind wesentlich einfacher zu haben als in Deutschland, einerseits von Arbeitgeberseite und andererseits auch gesellschaftlich anerkannt. Ich werd zumindest nicht schief angeschaut, wenn ich sage, dass ich nur 90% arbeite und dafür im Gesamtsaldo 56 Ferientage im Jahr habe. Nur Deutsche sind neidisch drauf und die Schweizer sagen jep, hab ich auch.
Noch ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Zitate aus dem SZ-Artikel:
“Ich habe zwei Söhne, zwei und vier Jahre alt, sie gehen in eine Krippe, das kostet etwa 2000 Euro pro Monat und Kind.”
Einerseits ist das durch den Wechselkurs sowieso verzerrt. Wahrscheinlich sind es etwa 2’200 Fr., was mit einem anderen Kurs in EUR günstiger aussieht. Der Grund für die hohen Kita-Preise sind die fehlenden Subventionen und generell höhere Kosten.
Tatsächlich ist die Schweiz im Vergleich zu den Nachbarländern in den vergangenen Jahren in eine Schieflage geraten, was familienfreundliche Arbeitszeitmodelle betrifft. Während sich in Deutschland immer mehr Mütter und Väter 14 Monate Elternzeit untereinander aufteilen – und die Männer in einigen Branchen sogar kritisiert werden, wenn sie nur zwei Monate freinehmen, hat ein junger Vater in der Schweiz Anrecht auf nur einen freien Tag. Einige Arbeitgeber gewähren mehr freie Tage, doch das ist freiwillig.
Die Schieflage besteht für mich doch eher in der grossen Umverteilung in Deutschland und anderen Ländern. Ich empfinde den Arbeitsmarkt hier als paradiesisch und die Lohnungleichheit ist auch kein Problem. Und nochmal: es ist familienfreundlich, wenn mein Lohn so hoch und mein Job so sicher ist, dass ich einfach zum Chef gehen und meine Arbeitszeit reduzieren kann. Nur im Gegensatz zu Zwangsferien bzw. einem staatlich sanktionierten und subventionierten Familienmodell wie der deutschen Elternzeit hat man hier die Wahl, ob man möchte oder nicht. Mal davon abgesehen, dass bei der deutschen Elternzeit lustigerweise auch die Frauen den grössten Teil nehmen und die Männer nur das, was sich im Sinne von “Subventionsmassnahme, also mitnehmen” nicht vermeiden lässt.
Ich beobachte, dass sich zwei unterschiedliche Arbeitsmärkte entwickeln. Die großen Player, die mit Google, Facebook und Co. um die besten Leute konkurrieren, führen betrieblichen Vaterschaftsurlaub ein und betreiben eine interne Kita. Für die normalen Leute, die in kleinen oder mittleren Unternehmen arbeiten, fehlen diese Angebote. Vor allem auf dem Land.
Richtig. Wie ich schon meinte: bei Vollbeschäftigung und solange Arbeitnehmer gesucht werden, tun die Firmen was dafür und treten in einen Wettbewerb um die besten Arbeitsbedingungen. Die grossen Firmen können es sich sowieso leisten und stehen im globalen Wettbewerb. Bei den mittleren und kleinen Firmen sieht das aber vermutlich ganz anders aus. Wenn in einem KMU mit zehn Leuten plötzlich zwei Väter da sind und die für jeweils einen Monat ganz fehlen, kann das das Unternehmen wirklich in Bedrängnis bringen. Da hilft es auch nichts, wenn der Lohn(-ausfall) über irgendeine Sozialversicherung dem Arbeitgeber erstattet wird, wenn die Arbeitsleistung fehlt. Ich finde es wesentlich passender, das statt über bundesstaatliche Verordnung von oben direkt im KMU, zwischen Betrieb und Arbeitnehmer zu regeln. Da kann das getan werden, was für beide Seiten passt. Im Zuge des Frankenschocks von vor einem Jahr zum Beispiel auch eine temporäre Erhöhung der Arbeitszeit auf 45 Wochenstunden (beim Bühler).
Eine Studie des Schweizer Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2012 zeigt: In fast der Hälfte der Schweizer Haushalte mit Kindern unter 15 Jahren ist der Vater vollerwerbstätig, die Mutter arbeitet Teilzeit. Dazu kommen 30 Prozent Haushalte, in denen der Vater Vollzeit, die Mutter gar nicht arbeitet. In zehn Prozent der Familien arbeiten beide Vollzeit. Das zeigt: Besonders für Väter gibt es kaum Wahlmöglichkeiten. Wer seine Arbeitszeit reduzieren will, stößt oft auf Unverständnis.
Die Zahlen am Anfang stimmen. Die Schlussfolgerung, dass Väter keine Wahlmöglichkeiten hätten, ist waghalsig, und dass sie auf Unverständnis stossen, erst recht. Warum jemand Vollzeit arbeitet, steht in keiner dieser Statistiken. Ich hab noch keinen Mann hier erlebt, der mit unbezahltem Urlaub oder Teilzeitpensum Probleme gehabt hätte. Die Unternehmen wissen, dass sie den Forderungen nachgeben sollten — wenn sie das nicht tun und ein langjähriger und erfahrener Mitarbeiter kündigt, wird das Anwerben und Einarbeiten eines Nachfolgers wesentlich teurer und langwierig. Die Gewährung kostet sie ja nicht mal was, sondern erhält ihnen in diesem Sinne einen (noch glücklicheren) Mitarbeiter.
Jede Familie sollte das mit sich selbst ausmachen, wie sie Arbeit und Einkommen aufteilt, frei wählen können und nicht ein bestimmtes Modell vorgeschrieben oder begünstigt bekommen. Deutschland hat da schon allein mit dem (herkömmlichen) Ehegattensplitting und den schon bei verhältnismässig niedrigen Einkommen fälligen Spitzensteuersätzen bei gemeinsamer Besteuerung ziemlich schlechte Argumente im Vergleich zur Schweiz, auch wenn die Kita-Plätze viel stärker subventioniert sind 🙂
Klingt irgendwie liberal, merke ich grad, ist aber bei mir sogar noch passender grünliberal. Jetzt hab ich mir alle Positionen in deren Programm doch mal durchgelesen und so auf Anhieb nichts gefunden, dem ich vehement widersprechen würde.
Zum Beispiel der Punkt:
Wir stehen zum bewährten Drei-Säulen-System der schweizerischen Altersvorsorge, sind aber der Meinung, dass der Zeitpunkt der Pensionierung geschlechtsneutral flexibilisiert werden sollte und die Lasten ausgeglichen auf die Generationen zu verteilen sind.
Das sag ich schon seit Jahren. Ist doch völlig egal, wie das offizielle Pensionsalter festgelegt ist. Es muss ja gar keins geben. Man kann den Zeitpunkt der Pensionierung einfach selbst wählen, hat dann eben Altersguthaben in den drei Säulen, dann wird mit der Lebenserwartung gegengerechnet und die Rente oder der Kapitalbezug stehen fest. Wer eher aufhört, hat halt länger was von weniger Rente, wer später aufhört, hat tendenziell kürzer was von mehr Rente. Simpelste Versicherungsmathematik, bisschen Demographie mit Sterbetafeln, fertig. Ich seh das Problem nicht 🙂
Oder auch dieser:
Die Gleichstellung von Mann und Frau und aller Familien- und Lebensmodelle ist für uns selbstverständlich und muss sichergestellt werden. Dies bedingt beispielsweise die Sicherstellung von gleichen Löhnen für gleiche Arbeit, eine Gleichbehandlung zwischen Ehepaaren, eingetragenen Partnerschaften und Konkubinaten im Steuer- und Sozialversicherungsrecht, die vollumfängliche Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sowie deren Zulassung zum Adoptionsverfahren. Kindererziehung soll für Männer und Frauen mit einer Berufstätigkeit vereinbar sein. Angebote für Tagesstrukturen und Teilzeitstellen sind für uns deshalb auf allen Stufen und für beide Geschlechter eine Selbstverständlichkeit. Der Staat soll den Familien nicht die Erziehungsverantwortung abnehmen, sie aber falls nötig dabei unterstützen.
Im Zusammenhang mit
Rolle des Staates
Wir stehen für einen starken aber schlanken Staat ein, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert, auf Eigenverantwortung basiert und seine Dienstleistungen wie ein modernes Unternehmen organisiert. Zu den Kernaufgaben des Staates gehören für uns das Setzen von Rahmenbedingungen für einen fairen und freien Wettbewerb, die Korrektur von Marktversagen, der Schutz der individuellen Freiheit und Sicherheit, der Zugang zu Bildung und Gesundheit sowie die Existenzsicherung von sich in einer Notlage befindenden Bewohnerinnen und Bewohnern unseres Landes. Es ist regelmässig und sorgfältig zu prüfen, ob Aufgaben durch den Staat effektiv und effizient erfüllt werden oder durch Private besser ausgeführt werden können.
ist die GLP wohl die Partei, in der ich mich am wohlsten fühlen würde. Ich glaub, den letzten zitierten Absatz haben sie aus Wohlstand für Alle abgeguckt 😀
Die FDP würde zwar in vielen Punkten auch passen, aber will eine zweite Röhre am Gotthard…