Im Zuge der weltweiten Finanzkrise (eigentlich ja andauernden Systemkrise, Kapitalismus eben) sieht man gerade an/auf Zypern sehr schön, was eine Einlagensicherung wert ist: nichts. Es wird einfach eine wie auch immer genannte Sondersteuer auf alle Bankeinlagen erhoben, die Einlagen werden vorübergehend eingefroren und wenn die Bank wieder aufmacht, ist man um einen gewissen Prozentsatz ärmer. Da bin ich doch gerade noch zum richtigen Zeitpunkt aus dem Euro-Raum ausgewandert, auch wenn das nicht heisst, dass allfällige Einlagen in der Schweiz sicher wären. Die einen lassen höhere Inflation zu, woanders wird halt einfach das Guthaben reduziert. Wenn ich mir da den Aufschrei und die Unruhen in letzterem Fall so anschaue, ist vielleicht die erhöhte Inflation doch der für das Vertrauen in eine Volkswirtschaft günstigere Weg, weil man eben nicht von jetzt auf gleich, sondern schleichend “enteignet” wird. Ausserdem begreifen die Auswirkungen höherer Inflation nur die, die bei der Zinseszinsrechnung aufgepasst haben, wohingegen wohl die meisten Leute einen Kontoauszug lesen können dürften. Dazu auch der passende Artikel aus der NZZ (Am Schluss zahlt der Sparer, NZZ vom 18.03.2013) und ein Artikel auf Telepolis: Warum die zypriotische Bankguthaben-Steuer richtig ist.
Tag: nzz
Ulrich Schmid über Sternchen Rainer Brüderle
Mein erfrischender Lieblings-Deutschlandkorrespondent der NZZ, Ulrich Schmid, sorgte heute mal wieder für Erheiterung beim Frühstück, da er im Artikel Brüderle beschäftigt Medien und Politik (NZZ 29.01.2013) im Abschnitt “Aufblähung” Folgendes schreibt:
Die vom Feminismus der siebziger und achtziger Jahre eingeleitete Sexismus-Debatte ist neu entbrannt und wird mit Sicherheit noch eine Weile weiterschwelen. Praktisch durchs Band weg wird dabei aber übersehen, dass der «Stern» wahrlich keine emanzipativen Ansichten hegte, als er seine gut abgehangene Story publizierte. Das offen sexistische Blatt, das auch noch eine Titelgeschichte über Waldameisen mit einer nackten Frau auf der Front bewerben würde, hat ganz einfach Kasse machen wollen. Darauf darf man verweisen, und einige Medien taten es auch, schüchtern genug. Die Apologeten Brüderles allerdings zogen es vor, die berechtigte Kritik an einem gesellschaftlichen Missstand feierlich zum neuen Puritanismus hochzustilisieren, so, wie es etwa die «Welt» tat.
Jaja, der Logarithmus und die Inflation
Gerade las ich in der NZZ, dass die US-Notenbank vorübergehend einen halben Prozentpunkt mehr Inflation zulassen möchte, also dass nicht mehr 2% Inflation als Preisstabilität gelten sollen, sondern 2,5% als solche. Die können schon ziemlich gut rechnen beim Fed, denn mit nur einem halben Prozentpunkt mehr an zugelassener Inflation verkürzt sich die Dauer bis zur Halbierung des Wertes der Staatsschulden (Entwertung durch Inflation) gleich mal um sieben Jahre (von 35 auf 28 Jahre). Wenn man in der Zeit dann noch nur 1,5% Zinsen aufs Ersparte bekommt, wird das auch noch zusätzlich im Wert reduziert, ohne dass man es aktiv und schmerzhaft bemerkt. Geld selbst hat ja eh keinen Wert, wenn man dafür nichts kaufen kann, aber so ein kleines bisschen Logarithmus und Zinseszinsrechnung macht schon einige Wirtschaftsmeldungen verständlicher.
Passenderweise haben auch die deutschen Grünen und die SPD gerade den Gesetzentwurf der Regierung zur Entlastung der Steuerzahler von der kalten Progression abgelehnt, so dass der Einkommensteuertarif nicht wenigstens etwas der Inflation nachgeführt wird (um automatische Nachführung ging es ja sowieso nicht). D.h. da gibt’s dann den nächsten kleinen schleichenden Zahlbetrag für die Staatsschulden, wenn von nominellen Lohnerhöhungen nach Abzug von durch die Progression steigender Steuerlast und Inflation am Ende zwar laut Zahl mehr übrig bleibt, aber laut Kaufkraft weniger. Das Beste ist halt, dass sich das alles über Jahre oder Jahrzehnte hinzieht und man davon fast nichts merken wird. Da sind doch durchaus mehr clevere Rechner in den Parteien als erwartet, ob mit oder ohne Wahlkampf im Nacken.
Schuldenbremse und Zuwanderungsgründe
Heute hatte ich Post aus Bern im Briefkasten, von der ich nicht wusste, was wohl drin sein würde. Es war aber ein Zuwanderungsfragebogen vom Bundesamt für Migration. Fand ich gut, denn nur wenn man genug Daten hat, kann man zuverlässige und belastbare Entscheidungen treffen. Hier der Fragebogen: Fragebogen vom BFM (pdf). Und hier noch der sehr informative ganzseitige heutige NZZ-Artikel über die schon seit vielen Jahren in der Schweiz existierende Schuldenbremse.
Ausserdem wollten die Jungs unbedingt für den Tatort üben und haben daher einen Tatort mit drei Weihnachtssternen nachgestellt. Der langohrige Bösewicht versteckt sich noch hinter einem der Sterne. Mal schauen, wie lange sich die Weihnachtssterne so halten. Und nein: es wurden keine Tiere während der Dreharbeiten verletzt.
Wer’s noch nicht gemerkt hat: der Grad meiner Zufriedenheit über die neue Heimat korreliert negativ mit der Anzahl der hier neu geschriebenen Beiträge. Mit inzwischen 6,5 Monaten ist das bereits die längste durchgängige Zeit, die ich im Ausland bin. Aber: schon ungefähr seit September verwende ich den Begriff “Ausland” auch, wenn ich nach Deutschland fahre; und wenn ich morgens im Nachtzug in Basel aufwache oder auch in Zürich-Flughafen ankomme, fühle ich mich wieder daheim. Irgendwann kann ich dann frohen Herzens meinen deutschen Pass abgeben. Meinen Führerausweis (Führerschein) muss ich sowieso demnächst in einen mit dem weiss-roten Kreuz umändern lassen, denn der deutsche wird nach einem Jahr Aufenthalt in der Schweiz ungültig; inklusive Sehtest und obligatorischer Gebühr wird das wohl wieder einer der reibungslos verlaufenden Verwaltungsakte.
Elder Statesmen
Zwei sehenswerte Videos zweier sehenswerter älterer Politiker gibt’s heute. Der eine ist im Begriff, ein sogenannter elder statesman zu werden: der ehemalige Präsident Bill Clinton. Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten hat er eine ganz gute Revue abgeliefert, die natürlich perfekt inszeniert und rhetorisch prima aufgebaut war. Er war mir ja schon zu Amtszeiten sympathisch, aber bei einigen seiner Redehöhepunkte und der dazu passenden Stimmung gab’s durchaus mal Gänsehaut. Inhaltlich war es eigentlich nichts Neues: die Republikaner sind schlecht, wir sind gut. Vom europäischen Standpunkt her versteht sowieso kaum jemand, wie man überhaupt die Republikaner wählen kann und ich mag sie auch nicht. Drei Punkte, die die Demokraten unter Obama veranstaltet haben, finde ich persönlich nicht begrüßenswert: a) die Rettung der Autoindustrie, b) der derzeitige Erdgasboom in den USA durch sogenanntes Fracking und c) die wenigen Investitionen in erneuerbare Energien. b) und c) wurden von Clinton schön verpackt dargestellt, nämlich daß die USA durch die Erdgasförderung die Abhängigkeit vom Ausland reduzieren und daß sich die erneuerbaren Energien in Obamas Amtszeit verdoppelt haben. Bei der Erdgas- und unkonventionellen Ölförderung erreichen die erschlossenen Quellen noch viel schneller das Fördermaximum, um danach abzufallen, und die Nebeneffekte der in den Boden geleiteten Chemikalien sind ganz sicher nicht vernachlässigbar. Das schiebt also nur die nächste Energiekrise etwas hinaus und ist nicht nachhaltig. Und bei den erneuerbaren Energien ist es zwar toll, daß die sich verdoppelt haben, aber wenn man nur bei einem sehr niedrigen Niveau anfängt, ist das auch kein Wunder. Das ganze Video gibt’s hier: http://www.youtube.com/watch?v=uzDhk3BHi6Q. Wie gesagt, die Stimmung ist schon beeindruckend, aber wenn man nur (vermutlich ausgesuchte) Befürworter in der Halle hat, ist das wie bei jedem beliebigen Parteitag, egal welcher Couleur.
Das zweite Video, aus deutscher Sicht vielleicht noch interessanter, stammt von einem Hallenser, der 1952 in die Bundesrepublik gegangen ist, dem man aber seine Herkunft sehr schön anhört. Er ist schon (so wie Helmut Schmidt) ein elder statesman. In dem Interview spricht er über seine Erfahrungen als Außenminister und gerade über die aktuelle Krise und Europa im Allgemeinen. Erstmal war mir gar nicht bewußt, daß er ja irgendwann mal in den Westen gegangen sein mußte und wenn er mich als Kind in den Fernsehnachrichten begleitet hat, hatte mich das sowieso weniger interessiert. Und dann ist mir auch nicht klar gewesen, daß er tatsächlich 18 Jahre lang Außenminister war. Das Interview, das die NZZ mit ihm in ihrer (anscheinend monatlichen) Sendung Standpunkte abliefert, ist jedenfalls sehr interessant und wirklich sehenswert, aber im Gegensatz zu Clinton ohne Publikum und daher weniger stimmungsgeladen. Bei der NZZ gibt’s noch mehr davon unter nzz.ch/standpunkte, ansonsten habe ich es auch auf youtube hochgeladen: youtube.com/watch?v=DT_RB2ScJBM. Oh, ja, es geht um Hans-Dietrich Genscher 🙂 Sein bester Spruch ist wohl “Wenn se keine Visionen haben, finden se ‘n Weg nich.” bzw. “Wer nich weiß, wo ‘r hinwill, kommt auch nich an.”
Was die beiden Videos vereint, ist die Aussage “We’re all in this together!” (Clinton) bzw. daß wir alle als Europäer im selben Boot sitzen, wie Genscher sinngemäß meint.
Organspende-Artikel und NZZ, mal wieder
Momentan kocht gerade die Debatte um die Organspende hoch, auch in der Schweiz, gerade weil in Deutschland kürzlich Mißbrauchsfälle bzw. an Wartelisten vorbei vergebene Organe vorgekommen sind. Die Regelungen gleichen sich: sowohl Deutschland als auch die Schweiz haben opt-in, also muß man sich ausdrücklich zur Organspende bekennen und ist ansonsten kein Spender. Meinen ausgefüllten Organspendeausweis trage ich jedenfalls ständig mit mir herum, denn was nach dem Tod passiert, ist mir herzlich (sic!) egal. Es wäre nur schade, wenn da der monetäre Aspekt statt des altruistischen in den Vordergrund träte. Die Wahrscheinlichkeit, zum Organspender zu werden, habe ich aber mit dem Motorradverkauf 2008 deutlich reduziert, denn Kinder ohne Papa sind doof. Blut spenden gehe ich ja außerdem auch nicht wegen des Geldes (wenn es überhaupt welches gibt), sondern weil es mich nicht stört (auch wenn die dicke Kanüle immer wieder Überwindung kostet), ich noch Blutuntersuchungen gratis dazu bekomme und mein Blutdruck damit automatisch vier- bis sechsmal im Jahr gemessen wird und ich meistens noch nette Leute kennenlerne.
Der eigentliche Aufhänger für diesen Beitrag ist allerdings der NZZ-Artikel vom Dienstag gewesen: Nicht wirklich auf Herz und Nieren geprüft. Dabei geht’s mir auch weniger um den Inhalt, sondern mehr um diesen Satz:
Dilemmata kann man bei der Organspende nie umgehen, trotz der ostentativen Vermeidung alles Merkantilen.
So muß Deutsch klingen, auch wenn’s Fremdwörter hat, die ich lange nicht mehr in einer Tageszeitung gesehen habe! Ich mußte den Satz echt zweimal lesen, nicht weil ich ihn nicht verstanden hätte, sondern weil ich einfach nur baff war, das im Politik- und International-Teil zu lesen (nicht im Feuilleton!). Ein Grund mehr für die NZZ, die damit gleich gute Laune am frühen Morgen verbreitet 🙂
Es scheint auch ähnliche Leser wie mich zu geben, denn gestern erschien folgender Leserbrief zu einem Artikel vom 30.07.2012: Mozarts «Zauberflöte» mit Nikolaus Harnoncourt als Eröffnungspremiere in Salzburg:
Papagenos Apostroph
Zur Besprechung von Mozarts «Zauberflöte» an den Salzburger Festspielen (NZZ 30. 7. 12) hat die NZZ ein Bild abgedruckt von Papageno neben einem Lieferwagen, der die gut sichtbare Aufschrift trägt: «Papageno’s Singvögel Delikatessen». Dieser Regie-Einfall mag ja ein Gag eigener Sorte und speziellen Geschmacks sein. Und möglicherweise wurde beim Wort «Papageno’s» ein eher metaphorisch gedachter sogenannter Deppenapostroph verwendet, was aber meiner Meinung nach nun doch etwas zu weit ginge.
Wohl ist Papageno bekanntlich nicht gerade der Allergebildetste, aber derart apostrophierend blossstellen hätte man ihn ja schon aus generalpräventiven Gründen nicht müssen. Ich meine damit die irritierende Wirkung auf unsere Jugend, welche immer weniger zwischen englischem Genitiv-Apostroph und unserer (mit ganz wenigen Ausnahmen) gänzlich ohne Apostroph auskommenden Regelung unterscheiden kann. Wären deshalb die Salzburger Festspieler nicht besser beim «apostrophenlosen», aber trotzdem allgemein verständlichen «Papagenos Singvögel usw.» geblieben?
…
Dafür gab es heute auch den ersten Tippfehler im Artikel “Militäretat kommt glimpflich davon” (NZZ 09.08.2012, Seite 6):
Zwar sind im Zuge der Sparmassnahmen auch deren Gehälter gekürzt wurden.
Irgendwie macht es bei mir immer pling beim (noch nicht mal aktiven) Lesen, so als ob da ein Fehler in der Matrix wäre. Das kann nervig sein, denn sogar doppelte Leerzeichen fallen mir da störend auf.
NZZ
Jetzt gibt’s täglichen Lesestoff, danke an AirBerlin und die SBB Lounge im Bahnhof Zürich für die Probeexemplare. Das Format der Neuen Zürcher Zeitung ist auch für den Flieger viel besser geeignet als die FAZ oder ZEIT, wobei ich letztere natürlich immer noch regelmäßig lese, da sie einen anderen Anspruch und eine andere Zielgruppe hat als eine Tageszeitung. Einerseits kriege ich (erneut) einen ganz anderen Blick auf Deutschland und andererseits lerne ich jetzt die Schweiz besser kennen, das ging mir mit dem Aftenposten auch schon so.