Manchmal gibt’s echt interessante Erlebnisse, die durch airbnb getriggert werden. Meine Gäste haben mich gestern nach Kirchberg SG zu einem öffentlichen Vortrag von Avalon Life mitgenommen. Im Prinzip sollte es um Kryptowährungen gehen, also nicht nur Bitcoins, sondern auch Dash, Ethereum und was es sonst noch alles gibt. Allerdings bin ich in der 90-minütigen Veranstaltung wirklich nicht schlau geworden, was denn jetzt das Geschäftsmodell der Firma ist. Eine Vermutung habe ich allerdings 🙂
Der Abend begann mit einem kurzen, aber lieblos gestalteten Abriss über die Geschichte des Geldes, inklusive Verweisen auf gewisse Bücher, dass der Kapitalismus inklusive Geldsystem vor dem Absturz steht. Das ist ja nichts Neues und systemimmanent, beispielsweise in “Kapitalkollaps” von Thomas Konicz nachzulesen. Als eigener Schutz, den man sich gegen eine Enteignung zulegen kann, wurden einerseits physische Werte wie Edelmetalle oder, eben ganz neu, Kryptowährungen angepriesen. Letztere sind weltweit verteilt, haben keine zentrale Steuerungsinstanz, niemand kann die Mathematik dahinter aus politischen Gründen aushebeln, sie sind mengenmässig begrenzt und haben natürlich nur Vorteile, wie sollte es anders sein. Diese Kryptowährungen werden in rechenintensiven Prozessen geschaffen (oder geschürft), wozu es inzwischen starke Hardware und natürlich viel Energie in Form von Strom benötigt, egal ob das jetzt Bitcoins sind oder eine andere Währung.
Nach dieser Einleitung kam Andreas Meyer (nein, nicht der SBB-Chef) zu Wort, der nach eigenen Worten soeben aus Costa Rica eingeflogen war und sich über das Klima und das Wetter hierzulande beschwert hat. Er findet es offensichtlich gut, das ganze Jahr über gleichmässig konstant 25-30°C zu haben. Ich nicht, das wäre für mich schon recht nahe an der Hölle. Als er anfing zu sprechen, kam mir aber sein deutscher Dialekt seeeeehr vertraut vor: logisch, er ist Magdeburger. Findige Unternehmer von dort kenne ich ja.
Weiter in seinem Vortrag: Avalon Life (AL*) scheint (auch laut Webseite) ein Anbieter zu sein, der jedermann den Einstieg in Kryptowährungen ermöglicht, indem sie paketweise Rechenleistung verkaufen und dem Kunden den errechneten Gegenwert (nach Abzug der Kosten) regelmässig in Kryptowährung gutschreiben. Das geschieht durch Rechenzentren auf Costa Rica, wo der Strom gratis und ökologisch sein soll. Sie schürfen jede mögliche Kryptowährung und verteilen die verfügbare Rechenleistung entsprechend auf die momentan profitabelste Währung. Das kann ich mir alles noch vorstellen und das könnte auch als Geschäftsmodell tauglich sein, wenn man Strom gratis hat. Ich bin nur noch nicht ganz schlau draus geworden, ob sie wirklich in (handelbarer) Kryptowährung gutschreiben oder ob sie ihre eigene Währung (Avalon-Coins?) herausgeben, die ausserhalb von Avalon wertlos ist. Die Kundenseite scheint jedenfalls ganz interessant zu sein.
* nein, das ist nicht die Alternative Linke, auch wenn es inhaltlich manchmal passen würde mit der Weltverbesserung
Danach folgte Thomas Graf als Vortragender, aber inhaltlich konnte ich dem Vortrag auch nichts weiter zum Geschäftsmodell entnehmen. Das, was ich selbst dazu gelesen habe, zeigt mir, dass es ausser Kunden noch Vertriebspartner (Avalon-Life-Partner) gibt, die das Geschäftsmodell als Franchisenehmer weiter treiben. Da zeigt sich dann aber ein recht pyramidales Affiliate-Marketing-Modell: jeder geworbene Lizenznehmer zahlt 960 EUR (bzw. den Gegenwert in Kryptowährung) Lizenzgebühr im Jahr und von dieser Jahresgebühr geht entsprechend ein Anteil an die, die in der Pyramide über ihm stehen. Von diesem hierarchischen Aufbau scheint es mehrere Modelle zu geben (tripple (ja, mit einem p zuviel) chain family plan und unilevel plan), die aber beide im Prinzip ähnlich aussehen. Interessanterweise bekommt man sogar mehr Provision, je tiefer jemand unter einem selbst in der Pyramide einsteigt. Man muss sich nur für einen der beiden Pläne entscheiden, je nachdem, ob man eher in die Breite selbst neue Partner aktiviert oder ob man in die Tiefe (indirekt) aktiviert und neue Partner unten am Baum anhängt. In einem der vielen Videos auf youtube wird argumentiert, dass man ja nur bis sechs Level unter einem selbst Provision an Neueinsteigern verdient und es damit eben kein Schneeballsystem sei. Gut, von der Provision her mag das stimmen, aber das System muss trotzdem exponentiell in der Anzahl Personen wachsen, damit nicht eine sehr schnell zunehmende Zahl von Zuletzt-Neueinsteigern als Verlierer dasteht. Die Pyramide wird immer breiter, und da spielt es auch keine Rolle, wenn die Anzahl direkter Nachfolger pro Knoten der Pyramide auf 3 limitiert ist. Witzig ist ja in dem Zusammenhang, dass sie gerade das inflationäre und ebenso exponentielle Geldsystem am Anfang der Veranstaltung bekriegt haben und jetzt am Ende eigentlich genau das Gleiche in Bezug auf die Anzahl der involvierten Personen passiert.
Dass AL als dezentrale autonome Organisation (DAO) organisiert ist, ist an sich nichts Schlechtes, aber vielleicht soll mit diesem Begriff auch nur von der Pyramide abgelenkt werden. Es gibt zu ähnlichen Systemen auch schon genügend Artikel im Netz, z.B. diesen hier. Lustige Tippfehler in den Webseiten (Terra-Hashes statt Tera-Hashes oder auch der Abschnitt Eine Lizenzpartnerschaft bedeutet:) machen auch keinen guten Eindruck, die in dieser Form vielleicht gültigen, aber unlesbaren Geschäftsbedingungen auf der Registrierungsseite ebenso.
Aber: ich finde nicht, dass man potentielle Kunden oder Lizenzpartner davor staatlich oder wie auch immer schützen müsste. Es kann sich jeder beteiligen, der möchte, der das Geld dazu hat und den das Ganze interessiert. Falls AL irgendwann krachen geht, werden wohl die Kryptowährungen in ihrem Ruf beschädigt, das ist das Einzige, was mich stören würde. Ich vergebe jedenfalls gern meine Chance, mit AL schnell und risikofrei reich zu werden, weil ich nicht verstehe, wie diese Firma einen Mehrwert schafft, an dem ich völlig risikofrei beteiligt werden soll. Mit dem, was ich an dem Partnermodell verstanden zu haben scheine, habe ich unten mal weitergerechnet.
Videos gibt’s genügend: Avalon-Life-Videos.
Hier wollte ich eigentlich aufhören zu schreiben, aber ich finde die Mathematik hinter dem System spannend. Nehmen wir mal an, dass es nur das Lizenzpartnersystem gäbe ohne Krypto-Währungsschürfen. Auf cryptinsider.io gibt es einen Vergütungsplan (pdf) von AL. Auf Seite 5 und 6 davon sind prozentuale Vergütungen aufgeführt je nach Tiefe der geworbenen Lizenzpartner-Ebene. Dass die Werte mit zunehmender Ebenentiefe steigen, hatte ich schon erwähnt. Sie summieren sich allerdings in beiden Plänen auch zu 100%. Die Frage ist, wovon? Dazu steht anrechenbare CV Summe (ja, ohne notwendigen Bindestrich) und 100% entsprechen 40CV, also zum Zeitpunkt des Plans 40 US-Dollar. Bei acht Ebenen sind bei voller Ausgestaltung in der 8.Ebene 6’561 Personen Lizenzpartner und allein an diesen Personen verdient der Partner auf Ebene 0 91’854 EUR/USD im Jahr. Das sieht erstmal gut aus 🙂
Die Frage ist aber eigentlich eine andere: wieviele Personen müssen nach/unter mir mitmachen, dass ich meine Jahresgebühr wieder reinhole? Mit der Tabelle ist das recht einfach zu berechnen: es muss sogar die fünfte Ebene fast voll sein, damit ich meine 960 EUR im Jahr wiederbekomme. In Zahlen: es braucht 305 Personen nach mir (bei gleichmässiger Befüllung der Ebenen), damit ich selbst bei +/- Null lande.
Im Vortrag fiel auch die Zahl von >150’000 Teilnehmern in 53 Ländern. Das klingt nach viel, man kann das ja mal auf die Pyramide (Verdreifachung jeder vorherigen Ebene) herunterbrechen.
Absolute/kumulierte Teilnehmer pro Ebene:
Ebene 00: 1 / 1
Ebene 01: 3 / 4
Ebene 02: 9 / 13
Ebene 03: 27 / 40
Ebene 04: 81 / 121
Ebene 05: 243 / 364
Ebene 06: 729 / 1'093
Ebene 07: 2'187 / 3'280
Ebene 08: 6'561 / 9'841
Ebene 09: 19'683 / 29'524
Ebene 10: 59'049 / 88'573
Ebene 11: 177'147 / 265'720
(Code in R: 3^seq(0,20,1)) bzw. für die Summe: cumsum(3^seq(0,20,1))
Das heisst, für die 150k Teilnehmer in Summe landet man irgendwo auf einer vollen Ebene 10 mit einer halb besetzten Ebene 11.
Für wieviele Teilnehmer ist das also bisher profitabel? Hier kann man vereinfachend annehmen, dass es fünf volle Ebenen unter einem Teilnehmer braucht und dass Ebene 11 voll ist. Damit hätten alle Teilnehmer auf Ebene 6 ihre Jahresgebühr drin und die obendrüber machen Gewinn, und zwar nicht zu schlecht. In absoluten Zahlen: von 265’720 Teilnehmern machen 364 Gewinn, 729 haben +/- Null und alle anderen zahlen drauf.
Noch grössere und schönere Zahlen gibt es, wenn man annimmt, dass man jetzt einsteigt. Nehmen wir mal an, ich stiege auf Ebene 11 ein und es braucht dann noch fünf Ebenen unter mir, damit es für mich selbst zu keinem Verlust kommt. Bei einer vollen Ebene 16 sind insgesamt schon 64,57 Millionen Personen beteiligt, von denen 88’573 einen Gewinn machen, 177’147 +/- Null haben und eben 64,2 Millionen Personen Verluste machen. Investiert bzw. als Lizenzgebühr gezahlt werden dann 64 Mrd. USD/EUR pro Jahr, von denen nur ein Bruchteil an Lizenznehmer ausgeschüttet wird und der Rest eigentlich investiert werden soll, u.a. in Krypto-Mining-Hardware. Da kann man aber viele Grafikkarten davon kaufen und auch recht viel Strom 🙂
Im Prinzip würde es aber passen, da auch der rechentechnische Aufwand für die Erzeugung der Kryptowährungen häufig nichtlinear zunimmt.
(Anmerkung 14.01.: Zahlen noch nach oben korrigiert…)
(Anmerkung 14.01. abends: meine Gäste waren vom ganztägigen Seminar begeistert und das Geschäftsmodell von AL scheint tatsächlich im Schürfen von Kryptowährungen zu bestehen, und daran wird man beteiligt)