Beim (Heim)Fahren mit dem Velo kommen mir eigentlich immer die besten Ideen, gestern auch wieder. Zwischen Wil Bahnhof und Kirchgasse fiel mir ein marktbasiertes Handelssystem für Mobilität ein, mit dem man die Mobilität generell bepreisen kann, ohne auf Verbote oder Planwirtschaft zu setzen.
Beim Kohlendioxid gibt es den Emissionsrechtehandel, der mit langsam sinkenden Gesamtemissionsmengen als Obergrenze dazu führt, dass die Emissionen (von Schadstoffen) mit den volkswirtschaftlich geringsten Kosten reduziert werden, ohne direkt den Weg zum Ziel vorzugeben. Dass sich der Rechtehandel nicht mit den EEG- bzw. KEV-Subventionen für Neue Erneuerbare verträgt, ist ein anderes Thema.
Gestern im Vortrag kam ja recht klar heraus, dass alle möglichen “Lösungen” für die Mobilitätsprobleme einfach nur dazu führen, dass Mobilität noch einfacher und billiger wird und damit immer noch weiter zunimmt (wer Strassen sät, wird Verkehr ernten). Wenn man das Ziel erreichen möchte, die Mobilität der Menschen zu verringern, könnte man einen Mobilitätsrechtehandel aufbauen. Rein technisch lassen sich die Bewegungen der Menschen ja heute schon detailliert aufzeichnen (freiwillig oder unfreiwillig), also können wir mal vereinfachend annehmen, dass jegliche Mobilität und die Art der Fortbewegung erfasst sind.
Der Mobilitätsrechtehandel wäre dann genau das Gleiche wie der Emissionsrechtehandel: jedem Menschen/Bürger wird pro Jahr ein Kontingent von Mobilitätszertifikaten gratis zugeteilt. Diese Zertifikate können dann durch Fortbewegung verbraucht werden. Die Idee ist, dass unterschiedliche Fortbewegungsarten unterschiedlich viele Zertifikate pro gleicher zurückgelegter Strecke kosten:
- Zu-Fuss: 0 Zertifikate
- Velo: 0 Zertifikate (logisch 🙂 )
- E-Bike: 0.1 Zertifikate
- Auto: je nach Masse und Besetzung 1-10 Zertifikate (voll=besser=günstiger)
- ÖV: je nach Besetzung 0.5-2 Zertifikate (voll=besser=günstiger)
- Flugzeug: ab 100 Zertifikate aufwärts
Das Wichtige hierbei sind die relativen Unterschiede zwischen den einzelnen Fortbewegungsmitteln, nicht die absoluten Zahlen. Die Besetzung eines Verkehrsmittels auf technischem Weg zu ermitteln ist noch nicht ganz vorhanden, aber einfach machbar, wenn man wollte.
Jetzt der Clou: sobald man seine Gratiszertifikate aufgebraucht hat, muss man für jede weitere Fortbewegung, die Zertifikate braucht, welche auf dem Zertifikatemarkt zukaufen (genau wie beim Emissionshandel). Wenn die Obergrenzen und die gratis zugeteilten Zertifikate richtig gesetzt sind, entsteht ein Knappheitssignal, das sich im Preis für die Zertifikate äussert — wer massiv mehr mobil sein will, zahlt auch entsprechend mehr. Da mit zunehmender Knappheit auch der Preis immer weiter steigt, reduziert sich die Nachfrage entsprechend, so dass es nicht dazu kommt, dass die Obergrenze erreicht wird. Aber es ist hierbei nicht so, dass ein unsichtbarer Staat profitiert, sondern es ist eine Umverteilung zwischen den Menschen: es gibt sicher solche, die ihre Zertifikate nicht aufbrauchen (solche, die nur Velo fahren z.B.). Die können und werden dann ihre Zertifikate auf dem Markt verkaufen und damit einen Gewinn bzw. ein zusätzliches Einkommen erhalten — damit werden beispielsweise Leute auch monetär entlohnt, die bisher nur aus Idealismus oder Überzeugung Velo gefahren sind oder zu Fuss unterwegs waren.
Im Wesentlichen ist das ein Mobility Pricing auf Grundlage eines marktbasierten Cap-and-Trade-Programms wie beim Emissionshandel. Allerdings ist das Mobility Pricing eine direkte Steuer, die irgendwo beim Staat landet, wohingegen beim Mobilitätsrechtehandel automatisch eine Umverteilung zwischen viel mobil und wenig mobil passiert. Es hängt dann aus technischer Sicht “nur” an der richtigen Festlegung der Zertifikate-Verhältnisse, der Gratiszertifikate und der globalen Obergrenze. Rein politisch dürfte es tendenziell bei SP, Grünen, Grünliberalen und wegen des Marktmechanismus auch bei der FDP eine Mehrheit bekommen. Bei der CVP und der Autofahrerpartei SVP sehe ich eher schwarz, denn deren Klientel würde draufzahlen.
Eine Utopie, schon klar, ausserdem bringt eine Insellösung in der Schweiz da nicht viel. Man könnte die Mobilitätszertifikate auch als eine Art von bedingungslosem Grundeinkommen deklarieren — je nachdem, was am Mobilitätsmarkt für ein Zertifikatepreis herrscht.
Noch eine Vergleichsmöglichkeit: Lebensmittelmarken. Jedem Bürger wird eine bestimmte Menge von täglicher Kalorienaufnahme zugestanden, für die er Lebensmittelmarken erhält (gab’s auch 1940-1948 in der Schweiz). Wer mehr braucht (z.B. schwere körperliche Arbeit), bekommt Extra-Marken z.B. vom Arbeitgeber oder direkte Leistungen (Stichwort: Trinkbranntwein); wer seine Marken nicht aufbraucht, kann sie auf dem Schwarz(markt) tauschen oder verkaufen. Also meine Idee ist eigentlich nicht soooo neu, nur auf ein anderes Feld übertragen.
Nachtrag: der Aufenthalt in Palo Alto ist flugtechnisch und wohnungstechnisch eingetütet. Wohnungspreise wie daheim 🙂
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