Geliebte, es war schön mit Dir. Über lange Jahre hast Du mich begleitet, wir sind miteinander durch dick und dünn gegangen und ich halte Dir auch noch eine Weile die Treue, wenn ich Dich im Portemonnaie mit mir herumtrage. Ich habe Dich immer gegen jedwede Art von Angriff verteidigt und in Schutz genommen und Dich auch ein bisschen am Leben erhalten, weil ich nicht von Dir lassen konnte. Deine Kurven und Rundungen habe ich immer geliebt, auch wenn das häufig zu Verwechslungen und Irritationen bei anderen Leuten geführt hat, wenn sie Dich, insbesondere im Ausland, nicht lesen konnten. Dir zuliebe habe ich sogar die FAZ abbestellt, einfach um ein Zeichen zu setzen, dass Du mir wichtig bist. Aber es hat alles nichts genutzt, nun trennen wir uns doch. Noch vor einem halben Jahr hätte ich nicht gedacht, dass es einmal so weit kommen und auch ich die Trennung wollen würde, für die von ausserhalb bereits eine Weile alle Weichen gestellt und alle Entwicklungen aufgegleist sind. Aber jetzt ist es tatsächlich so weit und ich verabschiede mich hochachtungsvoll von Dir. Ich werde Dich immer in guter Erinnerung behalten, geliebte Letter ß.
Wieso musst du dich vom ß verabschieden? O_o Mögen die Schweizer kein Esszett?
Das ß ist offiziell in der Schriftsprache abgeschafft, so wie ich das sehe. Die Schweizer haben da die pragmatische Lösung gewählt (gar keins mehr, alles durch ss ersetzt), die Deutschen haben die logische Lösung gewählt (nach langen Vokalen ß, nach kurzen ss, kurz gesagt). Es lohnt sich halt nicht, dagegen anzurebellieren. Bei meinen wissenschaftlichen Publikationen war es auch schon immer schwierig, das ß durchzuziehen und da habe ich die übelsten Verrenkungen bei Konferenz-Namensschildern erlebt.
Mal abgesehen vom “ß” – an dir ist einfach ein Poet verlorengegangen!
Aber es ist ja nie zu spät…
Das Schriftdeutsch der NZZ verfehlte seine Wirkung nicht, sage ich nur.